Als Andreas Fleißer im Jahr 1861 das Haus in der Kupferstraße 18 in Ingolstadt kaufte, war nun wirklich nicht abzusehen, dass dies einmal ein Museum werden und seine Enkelin Marieluise Literaturgeschichte schreiben würde.
„Alles noch original erhalten,“ freut sich Dr. Beatrix Schönewald, Leiterin des Ingolstädter Stadtmuseums (das Fleißerhaus gehört zum Stadtmuseum) und zieht eine Schublade aus der Werkbank heraus, die sich im Erdgeschoss des Gebäudes befindet. In der Schublade tummeln sich Werkzeuge, Schrauben, Holzstücke und sogar ein Büchlein, in dem die einzelnen Notizen mit Überschriften wie „Gehäuse“, „Kupplung“ und „Ölpumpe“ versehen sind. Im Prinzip könnte man hier im Eisenwarengeschäft mit Durchreiche zur Kupferstraße und angeschlossener Schmiede sofort wieder los legen (die Schmiede selbst wäre im Übrigen auch benutzbar). Aber es sind jetzt keine Kunden mehr, die das Gebäude, das zu den absoluten Oldies (die Holzbalken datieren aus dem Jahr 1401!) zählt, betreten, sondern Museumsbesucher. Und die sind vermutlich weniger auf der Suche nach historischen Bestandteilen einer Kupplung, sondern auf der Suche nach Informationen zu Marieluise Fleißer. Ganz nebenbei nehmen sie vor Ort auch ein Stück Ingolstädter Stadtgeschichte mit.
Die Karriere des Hauses begann wie erwähnt um 1401. Zu dieser Zeit dürfte das Gebäude als Münsterbauhütte gedient haben. Im Sandtner Modell aus dem Jahr 1573 (das Original Modell befindet sich im Bayerischen Nationalmuseum in München) ist es als Bürgerhaus zu erkennen. Hier residierte wohl ein herzöglicher Beamter. Allerdings waren damals die Gebäude Kupferstraße 16 und 18 noch ein Komplex, der später getrennt wurde. Im 19. Jahrhundert zog Andreas Fleißer – womöglich wie viele durch die Großbaustelle Landesfestung angelockt – nach Ingolstadt und kaufte das Haus mit der Nummer 18. „Seit 1861 fleißert es hier,“ meint dazu Beatrix Schönewald. Heinrich Fleißer, Sohn des Andreas und Vater von Marieluise, eröffnet hier sein Eisenwarengeschäft und eine Kupferschmiede. Am 23. November 1901 kommt hier die Schriftstellerin zur Welt.
Die große Literatin aus der Provinz
Die Enge des Hauses – die Enge der Provinzstadt. Marieluise Fleißer (1901 – 1974) verarbeitete sie in ihren Werken und entwickelte dabei eine unvergleichliche, einzigartige Sprache. Einen Fleißer Text erkennt man sofort. Erst recht, wenn man ihn hört. Und dass es eine Herausforderung ist, ihn zu vertonen, können die Besucher des Fleißerhauses an einer von mehreren interaktiven Medienstationen selbst ausprobieren. Sogar ein eigenes Hörspiel kann man hier „basteln“.
Der erste Stock des Museums ist ganz der Schriftstellerin gewidmet, die 60 ihrer 72 Lebensjahre in Ingolstadt verbracht hat. Ihr Abitur machte sie in Regensburg, zum Studium der Theaterwissenschaft ging sie an die LMU in München. Ihr Vater hatte sie dabei immer unterstützt – nicht selbstverständlich für ein bürgerliches Mädchen aus einer katholischen bayerischen Garnisonsstadt. In München lernte sie Bertolt Brecht kennen – es folgte 1928 der berühmt berüchtigte, von Brecht bewusst provozierte Skandal um die Aufführung ihres Stückes „Pioniere in Ingolstadt“ in Berlin. Die Fleißer galt von da an als „Unperson“ in ihrer Heimat. Erst zum Ende ihres Lebens änderte sich das. Kurz vor ihrem Tod wird ihr der Bayerische Verdienstorden verliehen. Am 2. Februar 1974 ist Marieluise Fleißer an Herzversagen gestorben. Im Krankenhaus hatte sie noch an einem Stück gearbeitet. Auf einem Stück Papier fand man ihre vermutlich letzten Worte: „Vogel, friss oder stirb.“
Die Höhen und Tiefen ihres Lebens und Schaffens, die unglückseligen Beziehungen, Marieluise Fleißers Verhältnis zu ihrer Heimatstadt, die späte Anerkennung und das Nachwirken ihrer Werke – im Fleißerhaus ist all das nachzulesen, zu spüren, zu hören und zu sehen. Ein inspirierender Ort.