Sie war ein Star, als sie eröffnet wurde. Aber wie das bei Stars nun mal so ist: Plötzlich ging es bergab, Jahre der Bedeutungslosigkeit folgten. Doch dann – das erfolgreiche Comeback! Und heute ist dieser Star eines der meistfotografierten Gebäude in Ingolstadt. Die sogenannte „Alte Anatomie“, die bei ihrer Eröffnung natürlich noch nicht so hieß (wenn schon dann nagelneue Anatomie), hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Am 27. April 1723 ist der Grundstein für „ein Gebäude und einen Garten“ (von einer Anatomie war gar nicht die Rede) gelegt worden, wie Prof. Dr. Marion Maria Ruisinger, die Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums, bei ihrem Vortrag anlässlich des Grundstein-Jubiläums erklärte. Und sie hatte noch weitere Überraschungen inkl. Fake News parat.
Wo der Tod ins Kraut beißt
Der Gedenkstein, der an die Grundsteinlegung erinnert, befindet sich heute gleich am Beginn der Dauerausstellung. Allein seine Wiederentdeckung ist schon eine kleine Sensation, schlummerte er doch – in Einzelteile zerbrochen – in der Gesteins Sammlung des Apian Gymnasiums, wo er erst 2016 wieder entdeckt wurde. Als Chronogramm ist in dem Textabschnitt die Jahreszahl 1723 „versteckt“, die eben von einem Gebäude und einem Garten berichtet (Aedificium hortusque erectus). „Es muss aber einen zweiten Gedenkstein gegeben haben,“ so Prof. Ruisinger, der ursprünglich vermutlich auch im damals schwarz gestrichenen (!) Anatomiesaal (Theatrum anatomicum) angebracht worden war. Dieser Stein ist weiter verschollen, aber seine Inschrift ist überliefert, in der auch der Garten besondere Erwähnung findet: „In diesem Garten wird der Tod selbst ins Kraut beißen müssen“ ist da zu lesen. Damit ist auch klar, dass der heute einem Barockgarten nachempfundene Arzneipflanzengarten ursprünglich ausschließlich der Lehre diente. Eine alte Skizze belegt das: Hier sind Pflanzenbeete ordentlich aufgereiht als eine Art gepflanzter Tabelle – von kunstvoll angelegten Hecken oder Blumenarrangements keine Spur. Dieser Garten sollte nicht schön, sondern lehrreich sein, betonte die Museumsleiterin.
Der abgekupferte Kupferstich
Abbildungen der Alten Anatomie in ihrem Ur-Zustand gibt es keine. Nun möchte man den berühmten Kupferstich von Simon Thaddaeus Sondermayr ins Feld führen, auf dem Garten und Gebäude so wunderbar zu sehen sind. Nur: Das ist keine Abbildung der Wirklichkeit. Der Stich war 1723 entstanden, also in dem Jahr, als gerade mal der Grundstein für das Exercitiengebäude gelegt worden war. Bis zum fertigen Bau dauerte es noch Jahre. Die Abbildung zeigt lediglich eine Vision dessen, was hier entsteht: „Man wollte der Welt erzählen, was hier Großartiges stattfindet. Und man wollte so Studenten nach Ingolstadt locken.“ Gute PR oder schon Fake News? Jedenfalls war auch im 18. Jahrhundert die richtige Außendarstellung wichtig für den Erfolg. Und so ein barocker Garten im französischen Stil und eine Sternwarte auf dem Dach machten sich eben recht gut, auch wenn beiden nie verwirklicht wurde.
Gabriel de Gabrieli wäre schön
Bleibt da noch die Frage: Wer hat´s gebaut? In vielen Publikationen über die Alte Anatomie wird der Eichstätter Hofbaudirektor Gabriel de Gabrieli als Architekt genannt. Und beim Blick auf das Bauwerk ist das auch einleuchtend, die Ähnlichkeit zu den typischen Gabrieli-Bauten ist offensichtlich. Nur: Es fehlt der Beweis. „Gabriel de Gabrieli wäre schön. Aber es gibt keine Quelle, die belegt, dass er den Bauplan erstellt hat,“ betonte die Museumdirektorin bei ihrem Vortrag. Allein die stilistische Zuweisung und biografische Bezüge hatten dazu geführt, ihn als den Urheber auszumachen.
Von der Wäscherei zum Museum
Mit dem Ende der Universität in Ingolstadt endete 1800 auch die „Daseinsberechtigung“ für das Lehrgebäude. Privatleute kauften den Gebäudekomplex, teilten ihn sich auf, bauten an und um. Lange Zeit war eine Wäscherei im barocken Gebäude untergebracht, die u.a. dem Deckenfresko im Anatomiesaal zusetzte. 1972 kaufte die Stadt Ingolstadt schließlich das Gebäude „in einer Zeit der knappen Kassen“ und ließ es zurück bauen. Anlass war das Jubiläum zu 500 Jahren Landesuniversität. Doch was sollte danach geschehen? Die Nutzung war unklar. Am 23. Juni 1973 wurde in dem frisch restaurierten Gebäude schließlich das „Medizinhistorische Museum Ingolstadt” eröffnet. Gründungsdirektor war Prof. Dr. Dr. Heinz Goerke, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der LMU München. Der Anatomiegarten wurde anlässlich der Landesgartenschau 1992 neu gestaltet. „Dieser Garten ist eine Oase in der Stadt, die man so nicht erwartet.“
Der Neubau des Verwaltungsgebäudes und die Umgestaltung der Dauerausstellung hatten dem Ort zuletzt einen neuen, frischen Look (und auch mehr Komfort) verpasst.
Und dass Garten und Gebäue auch ein beliebtes Motiv für Souvenirs und Postkarten war und ist, beweist eine kleine Sonderausstellung im Seminarraum. Unter dem Titel „VISION. IKONE. LOGO. Das Anatomiegebäude als Motiv“ sind hier vom Bierkrug bis zum Sammelteller allerlei Andenken zu sehen, auf denen die Alte Anatomie zu sehen ist.
Mehr: www.dmm-ingolstadt.de