Ein Stellplatz für das erste automobile Gefährt der Geschichte

Es wurde geforscht, getüftelt und gebaut. Nun hat das vermutlich erste „Auto-Mobile“ der Weltgeschichte (genauer: sein Nachbau) einen Parkplatz im Ingolstädter Stadtmuseum bekommen. Allerdings hat dieses Gefährt nun so gar nichts mit einem Benz Patent-Motorwagen oder anderen modernen Autos zu tun. Sein Erfinder und Erbauer war ein flämischer Jesuit, der am Hofe des chinesischen Kaisers hauptsächlich als Astronom arbeitete. Ferdinand Verbiest hieß der Mann, der 1623 in Pittem im heutigen Belgien zur Welt kam, 1657 in die Mission ging und 1660 an den kaiserlichen Hof nach Peking gerufen wurde. Um das Jahr 1675 hatte jener Verbiest dort ein Fahrzeug gebaut, das erstmals nicht von menschlicher oder tierischer Muskelkraft, sondern von Dampf getrieben wurde und damit als das erste fahrende Automobil der Weltgeschichte gelten kann. Mit einem Kohlebecken und einem Dampfkessel samt Düse ausgestattet, ohne lenkbare Achsen, aber mit einer Art Steuergerät versehen, konnte die Konstruktion Verbiests sogar im Kreis fahren.

Dass jenes Ur-Auto nun im Ingolstädter Stadtmuseum als Nachbau zu sehen ist, geht auf die Forschungen des Ingolstädter Historikers und Leiters des Bereichs „Historische Projekte“ beim Audi Konfuzius Institut Dr. Dr. Gerd Treffer zurück. Der Experte für die Geschichte der Jesuiten und ihre Aktivitäten in China hat sich in seinem Buch „Das erste auto-mobile der Weltgeschichte – des Jesuitenprofessors Ferdinand Verbiests Erfindung für den Kaiser von China“ eben dieses weitgehend unbekannten Kapitels der Automobilgeschichte angenommen. „Verbiest wollte den Beweis erbringen, dass man mit Dampf etwas bewegen kann. Das war reine Grundlagenforschung“, betonte der Historiker bei der Präsentation des Nachbaus im Stadtmuseum. Man wollte dem chinesischen Kaiser das Knowhow der Europäer demonstrieren und auch offen legen – aber nicht ohne auch etwas dafür zu bekommen, nämlich die Erlaubnis, den christlichen Glauben im Reich der Mitte verbreiten zu dürfen.

V.l.: Dr. Beatrix Schönewald (Leiterin Stadtmuseum), Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf, Prof. Dr. Peter Augsdörfer (Direktor Audi Konfuzius Institut), Dr. Dr. Gerd Treffer, Prof. Dr. Thomas Suchandt (THI), THI-Präsident Prof. Dr. Walter Schober und Conbing Wang (Konsul für Bildungswesen der Volksrepublik China)

Wie das Gefährt des Ferdinand Verbiest genau aussah, ist nicht überliefert, denn es gibt keine Abbildungen des Fahrzeugs. Aber der Jesuit beschrieb es in seinem Werk „Astronomia Europea“ (der komplette Titel lautet: Astronomia Europea Sub Imperatore Tartaro Sinico Cam Hy Appelato Ex Umbra in Lucem Revocata a R.P. Ferdinando Verbiest, Flandro-Belga e Societate Jesu Academiae Astronomicae in Regina Pekinensi praefeto cum Privilegio Caesaro et facultate Superioum). Im Kapitel 24 berichtet er unter der Überschrift „Pneumatica“, wie er den Wagen konstruiert hat und wie er es mittels eines Ruders geschafft hatte, dass es im Kreis fahren kann. Schließlich berichtet er Folgendes: „Diese Maschine stellt eine Grundform der Bewegung dar, die sich unschwer auf andere Fahrzeuge übertragen lässt, des Beispiels wegen auf ein Papierboot, das von seinen dampfgeblähten Segeln m Kreis herum fuhr, was ich dem älteren Bruder des Kaisers vorführte; der gesamte Antriebs-Mechanismus war versteckt und von außen hörte man nur das Pfeifen des Dampfes, der der Aeolipile entströmte, wie das Geräusch des echten Windes oder das Geräusch des Wassers, das gegen das Boot klatschte.“

Galerie illustrée de portraits de jésuites (de A.HAMY), 1893

Zum Schluss des Kapitels merkt Verbiest an: „Angesichts dieses grundsätzlichen Antriebsprinzips lassen sich leicht viele, durchaus erfreuliche, weitere Anwendungen vorstellen.“ Die technischen „Spielereien“, die der Jesuit konstruierte, blieben allerdings reine Schauobjekte und wanderten in die kaiserliche Sammlung, wo sie mit den Jahrhunderten und wechselnden Herrschern verloren gingen. Ferdinand Verbiest ist im Januar 1688 in Peking verstorben und wurde neben den jesuitischen Missionaren Matteo Ricci und Johann Adam Schall auf dem Jesuitenfriedhof in Peking beerdigt. Der Asteroid (2545) Verbiest wurde nach ihm benannt.

„Uns sind die Zähne davon geflogen“

Abbildung des Gefährts aus dem 18. Jahrhundert. www.automotogaleria.pl/historia.html

Von der Theorie in die Praxis übertragen wurden die Forschungsergebnisse von verschiedenen Studierenden-Teams. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts des Audi Konfuzius Instituts an der Technischen Hochschule Ingolstadt ist es 2019 gelungen, ein fahrbereites Modell anzufertigen. In einem weiteren Projekt haben nun Studenten der THI und der South China University of Technology (Kanton) aus historischen Materialien drei Nachbauten angefertigt – ein Nachbau ist nun im Stadtmuseum zu sehen. „Das Schwierigste war erste einmal zu ergründen, ob es möglich ist, mit frei ausströmendem Wasserdampf so viel Druck zu erzeugen, um irgendetwas anzutreiben,“ erklärte Prof. Dr. Thomas Suchandt, der zusammen mit den Studierenden zunächst ein Modell mit modernen, käuflichen Komponenten anfertigte, um grundsätzlich auszuprobieren, ob man mit einem Dampfstrahl überhaupt etwas antreiben könne. Erst danach haben sich die Tüftler an den Nachbau mit weitestgehend originalen Techniken gewagt. „Auch die Triebstockverzahnung hat mehrere Iterationsschliefen gebraucht. Dazu finde ich heute in keinem Lehrbuch Konstruktionsunterlagen. Da baut man ein paar Varianten, bis es funktioniert. Beim ersten Modell sind uns da als erstes die Zähne davon geflogen,“ gab der Maschinenbau-Ingenieur, der an der THI als Vizepräsident für Forschung und Transfer zuständig ist, zu.

Die beiden weiteren Nachbauten befinden sich übrigens in China und in der Autoworld in Brüssel (schließlich stammte der „Auto-Erfinder“ ja aus Flandern).

Stadtmuseum Ingolstadt
https://zentrumstadtgeschichte.ingolstadt.de/Stadtmuseum/

Infos zum Buch:
Gerd Treffer
Das erste auto-mobile der Weltgeschichte
Des Jesuitenprofessors Ferdinand Verbiests Erfindung für den Kaiser von China (1676 / 1678)
Schriftenreihe des Audi Konfuzius-Instituts Ingolstadt
Reihe: Historische Projekte, Band 1
ISBN: 978-3-981-7390-4-6
Preis: 6,00 €