Wer es nicht weiß, dem fällt es nicht auf. Wer aber die eigentliche Geschichte der Tiefgarage Theater Ost in Ingolstadt kennt, wird diesen Bau nie mehr so sehen wie vorher. Als Parkplatz für Autos war dieser Ort im Untergrund nämlich eigentlich gar nicht vorgesehen.
Massive Stahltüren? Na schön, die könnten in einer Tiefgarage ja dazu gehören. Wasserleitungen an den Wänden, die aber ins „Nichts“ führen? Vielleicht ein Planungsfehler. Bullaugen in den Schleusen, die in die Garage führen – vielleicht eine Idee des Designers? Weit gefehlt. Jede Leitung, jede Tür, jeder Gang, jeder Knopf hat eine Aufgabe – auch wenn er diese nie erfüllt hat. Gottseidank.
Gebaut und geplant wurde hier eine Großraumschutzanlage, also ein Schutzraum für den Fall eines nuklearen Angriffs auf Ingolstadt. „Es ist Europas größte Schutzraumanlage mit einem Fassungsvermögen von 7530 Personen,“ erklärt Wolfgang Sonhütter, IFG-Fachbereichsleiter und Experte für die Geschichte dieser ungewöhnlichen Tiefgarage. 64 500 Quadratmeter umfasst der sogenannte Mischbunker, der nicht nur im Fall eines Atombombenabwurfs Schutz bieten sollte, sondern auch bei Angriffen mit chemischen und biologischen Waffen. Und wer jetzt meint, dass das „Ding“ aus der Hochphase des Kalten Krieges stammt, der irrt. Gebaut wurde die Großraumschutzanlage von 1990 bis 1992! Und schnell wurde klar, dass sie ihren ursprünglichen Zweck voraussichtlich nie erfüllen muss, so dass sie zur Landesgartenschau 1992 in eine Tiefgarage umfunktioniert wurde – allerdings weiterhin mit der Möglichkeit, eine Schutzraumanlage daraus zu machen. Bis 2001 wurde die Anlage instand gehalten und ein Bunkerwart kümmerte sich um die Funktionsfähigkeit. Diesen Job gibt es inzwischen nicht mehr, heute könnte man laut Wolfgang Sonhütter die Tiefgarage auch nicht mehr in einen Atomschutzbunker umfunktionieren.

An etlichen Stellen des Schutzraumes wurden Notfall-Lampen platziert, die heute noch teilweise vorhanden sind.
Wer sich auf dem oberirdischen Parkplatz östlich des Stadttheaters befindet, der steht dort auf einer zwei bis drei Meter dicken Betondecke, unter der sich das erste Geschoss des Bunkers befindet, darunter ein weiteres. Wer in der Tiefgarage parkt, dem begegnen 15 Zentimeter dicke Eisentüren, die ein luftdichtes Verschließen des gesamten Komplexes ermöglicht hätten. „Es hätte zwei bis vier Tage gebraucht, um die Anlage zum Laufen zu bringen,“ so Sonhütter: „Man musste Lebensmittel und Betten anliefern, Waschräume installieren, eine Notküche aufbauen, die Leute hätten ihre eigenen Matratzen mit bringen müssen und am Eingang hätten die Bunkerwarte dann mit Handzählern akribisch die Personen gezählt.“ Man stelle sich die Dramen vor, die sich hier womöglich abgespielt hätten, wenn jemand nicht mehr hineingelassen wurde. 3820 Personen im ersten Obergeschoss – und keiner mehr. So lautete die Vorschrift. Selbst wenn viel mehr Menschen hineingepasst hätten. Aber das Problem wäre die ausreichende Versorgung mit Sauerstoff und Lebensmitteln gewesen. Die 7530 Schutzsuchenden hätten 14 Tage überlebt – dafür war die Anlage ausgelegt.
Natürlich bestimmen heute Parkplatzmarkierungen, Autos, Einfahrtschranken und offene Durchgänge die Szenerie, aber bei genauer Betrachtung sind eben noch etliche Hinterlassenschaften der ursprünglichen Nutzung zu sehen. Das geht schon bei der Beschilderung los. „Schutzluftzentrale“ steht da zum Beispiel. In einer normalen Tiefgarage bräuchte es dieser Schilder nicht. Über den parkenden Autos befinden sich hier und da seltsame Gestänge. An diesen Stahlschienen hätte man schwer entflammbare Spezialvorhänge anbringen können, um z.B. Bereiche für Kranke abzutrennen. Wasserleitungen sind bis heute an den Wänden zu finden, um in bestimmten Bereichen Waschgelegenheiten installieren zu können. Die Bullaugen in den Schleusengängen dienten dem Bunkerwart dazu, in den jeweiligen Raum schauen zu können. Jener Bunkerwart wäre auch der einzige gewesen, der über ein einziges Radio den Kontakt zur Außenwelt hätte halten sollen.

Blick in einen der Lagerräume, der zu Auschauungszwecken wieder mit den Originalmaterialien wie Putzmittel, Kochplatten und Co. ausgestattet wurde.
In zwei Lagerräumen hat man einen Teil der Originalausstattung noch erhalten, um im Rahmen von Führungen zum Beispiel Schulklassen diesen ungewöhnlichen Ort näher zu bringen. Schließlich ist dieser relativ neue Bau bereits so etwas wie ein Zeitzeuge aus Beton. Ein Team um Wolfgang Sonhütter „rettete“ zum Beispiel einige der (nie benutzten) Trockenaborte, von denen 150 in der Anlage gelagert waren. Aber auch Kochplatten, Testgeräte für die Luftqualität, Putzmittel aus den 1990er Jahren, Plastiksäcke, Schöpfkellen, Verbandskästen und mehr sind dort zu finden. Außerdem sind jene Menge kleiner Tütchen Micropur vorhanden. Mit dieser Substanz kann man Wasser von Keimen befreien.
Ein überlebenswichtiger Raum der Anlage ist die Lüftungszentrale. Von diesem Raum wäre die nötige Luft in den Schutzraum gepumpt worden, Schwebestofffilter und Sandfilteranlagen dienten dazu, die Luft zu reinigen. Bei Stromausfall konnten die Pumpen händisch betrieben werden (das funktioniert übrigens heute noch, siehe Bild unten). Nebenan befinden sich Diesel-Notstromaggregate, die so unverwüstlich sind, dass sie im Notfall für den Tiefgaragenbetrieb eingesetzt werden. Die eigentliche Lüftung oder „die Kathedrale“, wie Wolfgang Sonhütter sie nennt, ist seit 1992 in Betrieb. Dort befinden sich die Lüftungsaggregate, die heute die Tiefgaragennutzer mit der nötigen Luft versorgen und das auch im Kriegsfall für die Schutzsuchenden getan hätten. Hier wurde die „Bunkertechnik“ einfach übernommen.

Wolfgang Sonhütter, IFG-Fachbereichsleiter und Kenner der Tiefgarage mit Bunkervergangenheit, dreht an der Lüfter-Kurbel.
Es steckt nicht nur jede Menge Beton und Stahl an dieser Stelle im Ingolstädter Untergrund, sondern auch Ingenieurstechnik, die den unterirdischen Bau quasi „bombensicher“ machen musste: „Diese Anlage mit 65 000 Quadratmetern kann sich bei einem Einschlag von oben um neun Meter versetzen!“ erklärt Wolfgang Sonhütter. Deswegen sind alle Elemente der mächtigen Anlage auf Gummis gelagert. Irre – oder?
Die Atomschutzanlage ist inzwischen in das Konzept „Ingolstädter documente“ aufgenommen worden. Schüler und Schülerinnen der Ludwig-Fronhofer-Realschule und des Katharinen-Gymnasiums haben in Kooperation mit dem Historischen Verein Ingolstadt eine Info-Tafel erarbeitet, die oberirdische auf dem Parkplatz Theater Ost über die Anlage informiert. „Durch das Dokumentenkonzept lebt das Interesse an dem Ort auf,“ erklärt Wolfgang Sonhütter, „aber es sind immer noch sehr wenige, die sehen, um was es sich hier handelt.“
P.S.: Es gibt eine weitere Tiefgarage in Ingolstadt, die eigentlich gar keine Tiefgarage ist, sondern ein Schutzraum. Das ist die Tilly-Tiefgarage unter dem Klenzepark.