Auf den Spuren des bayerischen Leonardo da Vinci

Eher komisch als bedrohlich wirken die seltsamen Ausstellungsstücke, die sich in einem Glaspavillon in Dollnstein direkt am Radweg befinden. Und doch handelt es sich um Kriegsmaschinen. Erdacht hat sie Konrad Kyeser, der „bayerische Leonardo da Vinci“.

Hoch gebildet – weit gereist: Konrad Kyeser war ein ganz besonderer Typ. Geboren wurde er 1366 in Eichstätt, wo er auch aufwuchs und vermutlich in eine Lateinschule ging. Der Vater Rüdiger war ein Kieser, also ein Bierprüfer – daher der Familienname. Aber wirklich viel ist über den pfiffigen Erfinder nicht bekannt. In einer Sonderausstellung hat sich das Stadtmuseum in Ingolstadt 2003 mit dem Multitalent Kyeser befasst und das Fazit lautete damals (und bis heute hat sich wenig geändert), dass eine „tiefergehende Forschung zur Person, seinem Werk und die davon ausgehende Wirkung“ bisher leider noch ausstehe. Kyeser selbst schreibt über sich:

Annis millenis preteritis atque trecentis
Et sexaginta senis Mercurii die transactis
Post festum sancti Bartholomei apostoli excoriati
Kyeser Conradus Eystetensis sum mundo natus
Genitus factus Cancri signo Jovis hora peractus
A Rüdigero patre ac Elyzabeth pia matre
Me peto deus almus conservet virginis almus
In praesenti vita, futuram dirigat ita.

Nach Hingang von tausend Jahren und dreihundert
und sechsundsechzig am Merkurtage nach dem Fest
des Heiligen Bartholomäus, des geschundenen,
bin ich, Kyeser Conrad aus Eichstätt der Welt geboren worden,
erzeugt und gemacht, im Zeichen des Krebses zur Jupiterstunde vollbracht,
vom Vater Rüdiger und der frommen Mutter Elisabeth.
Mich wolle, so bitte ich, der allmächtige Gott in der Gnade der Jungfrau bewahren
in diesem Leben, und er wolle das zukünftige in gleicher Weise leiten.

(Übersetzung Götz Quarg, Handschrift des Bellifortis, Göttinger Staats- und Universitätsbibiothek)

Konrad Kyeser in der Ausgabe des “Bellifortis” der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen.

Was ist also über Konrad Kyeser bekannt? Hier wird’s etwas verwirrend, denn es wird von medizinischen und juristischen Studien in Eichstätt und Prag berichtet. Andererseits soll er mit einem bayerischen Söldnerheer nach Italien gezogen sein, um dort zu studieren. Gesichert ist sein Aufenthalt im Hofdienst der Könige Sigismund (König von Ungarn und Kroatien, römisch-deutscher König, später Kaiser) und König Wenzel IV. (König von Böhmen und von 1376 bis zu seiner Absetzung 1400 römisch-deutscher König). Ein Eintrag in den Matrikeln der Prager Juristenfakultät belegt nach Angaben von Rainer Leng (Bavarikon) ein Rechtsstudium. 1396 nahm Kyeser an der Schlacht um Nikopolis im heutigen Bulgarien teil, bei der das Heer aus ungarischen und burgundischen Kreuzrittern eine vernichtende Niederlage gegen die Osmanen erlitt. Für Kyeser war das ein einschneidendes Ereignis. Er machte König Sigismund, den Anführer der Kreuzritter, für die Niederlage verantwortlich. Im Streit zwischen Wenzel und seinem Halbbruder Sigismund stand Kyeser auf der Seite Wenzels, was dazu führte, dass er 1402 den Hof in Prag verlassen musste. Übereinstimmend berichten alle Quellen, dass sich von Konrad Kyeser ab 1405 jede Spur verliert. Womöglich war Kyeser auch im diplomatischen Dienst im Einsatz: „In zahlreichen Reisen durch ganz Europa wollte er Apulien, Sizilien, Polen, Fondi (Latium), die Campagna, Mailand, Toskana und Lombardei, Dänemark, Norwegen, Schweden, Franken, Burgund, Spanien, die Walachei, Rußland, Litauen, Mähren, Meißen, Krain, Steiermark und Kärnten besucht und freundliche Beziehungen zu den jeweiligen Höfen unterhalten haben,“ so steht es im historischen Lexikon Bayerns. Ob dem wirklich so war, muss noch erforscht werden.

Vom Taucheranzug bis zum Keuschheitsgürtel

Was auf jeden Fall an den europäischen Höfen bekannt und auch beliebt war, war das Buch, das Kyeser zwischen 1402 und 1405 verfasste. Der „Bellifortis“ (lateinisch „Der Kriegsstarke“) war ein echter Besteller. In diesem ersten Kriegshandbuch im deutschsprachigen Raum finden sich Zeichnungen und lateinische Texte, die sich mit allen möglichen Aspekten des Krieges befassen.

Darstellung eines windradbetriebenen Aufzugs in Konrad Kyesers “Bellifortis” über spätmittelalterliche Kriegstechnik. (BSB Clm 30150, fol. 38′)

Da geht es um die Eroberung einer Burg, um den Einsatz von Kriegsmaschinen, um Taktik und Technik. Die erste Fassung des „Bellifortis“ umfasste zehn Kapitel: die Wagen, die Belagerungsgeräte, die hydraulischen Maschinen, die Hebemaschinen, die Feuerwaffen, die Verteidigungswaffen, die wunderbaren Geheimnisse, das Feuerwerk für den Krieg, Lustfeuerwerk sowie Hilfsmittel und Geräte für die Arbeit. Nicht alle beschriebenen Geräte haben wirklich existiert, manche Erfindungen könnten von Kyeser selbst stammen, einige sind ganz offensichtlich purer Fantasie entsprungen. So beschreibt und zeichnet der Tüftler einen Taucheranzug für Kampfschwimmer oder sogar eine Luftmatratze.

Die Handschrift ist in lateinischen Hexametern verfasst und war nicht für den Kriegsgebrauch gedacht, sondern als „Infotainment“. Zielgruppe waren Adelige und die feinen Gesellschaften bei Hofe, die eben nicht nur mehr über das Kriegshandwerk lernen wollten, sondern dabei auch nach Unterhaltung verlangten. So geht es auch beispielsweise auch um Badehäuser, die weniger der Hygiene als der Vergnügung dienten. Dass im „Bellifortis“ die früheste bekannte Zeichnung eines Keuschheitsgürtels enthalten ist, mag daher nicht überraschen. Alexander der Große taucht in dem Werk ebenso auf wie die Königin von Saba, Planetengötter oder eine Anleitung für Magie und Zauber.

Die Handschrift ist nie gedruckt worden, etwa 50 Exemplare dieser früheste technischen Enzyklopädie des deutschen Sprachraums sind bekannt. Die einzige vollständige lateinische Fassung, die in Bayern überliefert ist, befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München.

Zwei Nachbauten von Fantasie-Kriegswagen und ein Modell eines funktionsfähigen Belagerungsturms sind in Dollnstein ausgestellt. Hier hat man auf der Rückseite des Altmühlzentrums direkt am Radweg dem Eichstätter Erfinder einen Pavillon gewidmet. Hinter Glas kann sich der Betrachter zumindest einen kleinen Eindruck vom großen Universum des Konrad Kyeser machen.

Den „Bellifortis“ finden Sie digitalisiert unter folgendem Link:

https://daten.digitale-sammlungen.de/0009/bsb00090291/images/index.html?fip=193.174.98.30&id=00090291&seite=1