Letzte Ruhestätte eines skandalösen Frauenzimmers

Der Antoniberg bei Stepperg ist nicht nur ein malerischer, sondern auch ein magischer Ort. Und die Gruftkapelle der Familien Arco und von Moy, die sich hier befindet, gäbe eine prächtige Kulisse für die Verfilmung einer viktorianischen Schauergeschichte ab.

Dieser Ort hoch über der Donau gelegen, war der Lieblingsplatz einer außergewöhnlichen Frau, die deshalb auch hier ihre letzte Ruhe gefunden hat. Die letzte bayerische Kurfürstin Maria Leopoldine (1776 – 1848) führte ein außergewöhnliches Leben, wurde zur reichsten Frau Bayerns und rettete den Wittelsbachern ihre Herrschaft. 1848 ist sie tödlich verunglückt, als ihre Kutsche mit einem Fuhrwerk zusammenstieß. Ihr Sohn ließ daraufhin die Kapelle errichten und seine Mutter dort bestatten.

Blick ins Innere der Gruftkapelle

Als im Dezember 1776 in Mailand die kleine Erzherzogin Maria Leopoldine Anna Josephine Johanna von Österreich-Este geboren wurde, konnte niemand ahnen, dass sie einmal eine wichtige Rolle in der europäischen Territorialpolitik spielen würde. Als viertes von insgesamt sieben Kindern von Erzherzog Ferdinand Karl von Österreich und Maria Beatrice d’Este verbringt sie in Mailand eine schöne Kindheit, bis Napoleon in der Lombardei einmarschiert. Die Familie flieht nach Wien (immerhin ist Kaiserin Maria Theresia die Großmutter der kleinen Erzherzogin) und Maria Leopoldine wird zu einem willkommenen „Heiratsobjekt“. Der bayerische Kurfürst Karl Theodor ist 1794 Witwer geworden und hatte im Alter von 70 Jahren zwar mindestens acht uneheliche Kinder, die er bestens versorgte, aber es fehlte dem Wittelsbacher ein Thronfolger. Unter Vermittlung des habsburgischen Kaiserpaares wurde ein Ehebündnis mit entsprechendem Vertrag zwischen Maria Leopoldine und Karl Theodor eingefädelt und abgesegnet. Die 18-Jährige musste sich fügen, obwohl die Verbindung selbst für Zeitgenossen wegen den hohen Altersunterschieds der Eheleute als fragwürdig erschien. „Gottlob, dass er schon so alt ist“, soll die künftige Kurfürstin über ihren Gatten gesagt haben. Nicht nur sie, sondern beinahe das gesamte Land gingen von einem baldigen Ableben des unbeliebten Herrschers aus. Wie „gern“ die Münchner den Kurfürsten hatten, erkennt man an einem Reim, der damals in München kursierte.

„O lieber Herr und Heiland,
was schickt der Herr aus Mailand,
eine schöne Frau
für unsre alte Sau.“

Maria Leopoldine von Östereich-Este, gemalt von Moritz Kellerhoven um das Jahr 1795. Das Gemälde hängt in der Münchner Residenz.

Die Hochzeit fand im Februar 1795 in Innsbruck statt, das Paar wurde anschließend in München wochenlang gefeiert. Die junge Kurfürstin kam beim Volk zwar hervorragend an, sie selbst erlebte die streng überwachte Ehe mit dem alten Fürsten aber als Martyrium. Sie verweigerte sich dem Ehemann, so dass der österreichische Botschafter berichtete: „Es geht im Ehebett nicht ganz gut.“ Der intrigante Münchner Hof tat sein Übriges, um der jungen Frau das Leben schwer zu machen. Maria Leopoldine rebellierte. So soll sie sich einen Spaß daraus gemacht haben, ihren Gästen Katzen, Fledermäuse oder Ratten zu servieren. Und sie stürzte sich in Liebesabenteuer. Etliche Liebhaber wurden „aktenkundig“, was unter anderem in deren Verbannung vom Münchner Hof endete. Auch jener Herzog Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken, den der alte Karl Theodor nicht leiden konnte und der später mit Hilfe Maria Leopoldines Bayern regieren würde, soll ihrem Charme erlegen sein. Der Sohn Max Josephs habe dem späteren König Ludwig I. erzählt, dass „mein Vater bei Lebzeiten des verstorbenen Kurfürsten die verwitwete Kurfürstin beschlafen habe.“ Der jungen Kurfürstin war es mehr und mehr egal, was andere von ihr hielten. Und das betraf nicht nur ihr Eheleben, sondern auch ihre politische Einstellung. Als Habsburgerin hätte sie die Pläne ihrer Verwandten zur „Einverleibung Bayerns“ eigentlich gut heißen müssen, aber die Sympathie für die Zweibrückener Wittelsbacher und die Wut über die „Zwangsehe“ mit Karl Theodor ließen sie zur „Beschützerin Bayerns“ werden. Als der Kurfürst nach einem Kartenspiel einen Schlaganfall erlitten hatte und es offensichtlich (und für viele endlich) dem Ende zu ging, wusste Maria Leopoldine um den Vertrag, der Altbayern an die Habsburger überschrieb. Dafür hätte der bayerische Kurfürst die Erblande in den Niederlanden bekommen. Auf dem Sterbebett wollte der unbeliebte Herrscher diesen Tauschhandel perfekt machen und ratifizieren. Aber seine 22-jährige Ehefrau ließ den österreichischen Botschafter Graf Sailern nicht zu ihm durch, außerdem ließ sie die Stadttore Münchens schließen, um ihn an einer Ausreise nach Wien zu hindern.

Gleichzeitig setzte sie ihren geschätzten (und geliebten?) Max Joseph von der Lage in Kenntnis und beorderte ihn umgehend nach München, um den Habsburgern und ihren Plänen zuvor zu kommen. Ein Wagnis, denn immerhin befanden sich wegen des Kriegs gegen Napoleon jede Menge österreichische Truppen auf bayerischem Boden. Der riskante Plan ging auf: Max Joseph erreichte rechtzeitig München und trat die Thronfolge an. Maria Leopoldine genoss danach das Leben in vollen Zügen: Feste, Lustfahrten und Liebesabenteuer bestimmten das Leben der zunehmend selbstbewussten Frau. Doch dann musste die Kurfürstenwitwe München verlassen und sich in Laibach (heute Ljubljana) einquartieren. Marie Leopoldine war schwanger – von wem ist bis heute ein Rätsel. Der Hofkomponist wird des öfteren als möglicher Vater genannt. Ihr Kind sollte sie auf Wunsch des Wiener Hofes „unauffällig“ zur Welt bringen.

„Meine Untertanen sind ein Dutzend Bettler!“

Der Zwangsaufenthalt in Laibach hat Maria Leopoldine verändert. In einem Brief an Kaiser Franz II. hat sie um Erlaubnis gebeten, nach Bayern zurück kehren zu dürfen. „Sie hat darin versprochen, künftig keine Schwierigkeiten mehr zu machen,“ schreibt Sylvia Krauss-Meyl in ihrer Biografie „Das Enfant terrible des Königshauses – Maria Leopoldine, Bayerns letzte Kurfürstin“. Dabei war sie allerdings nicht daran interessiert, sich wieder der Familie unterzuordnen. Als Witwensitz, der ihr zustand, wählte sie das Landgut Stepperg mit seinem kleinen Schlösschen, das sie renovieren und ausbauen ließ. „Stepperg war in der Nähe von Schloss Neuburg, aber weit weg genug von München,“ erklärt der jetzige Stepperger Schlossherr Graf Guy von Moy. Als Maria Leopldines Enkelin Sophie Gräfin von Arco-Stepperg einen Grafen Ernst von Moy de Sons heiratete, ging das Schloss mitsamt dem herrlichen Landschaftsgarten an die Familie von Moy des Sons über, in deren Besitz es bis heute ist. Zu Zeiten Maria Leopoldines war es eine fruchtbare, aber ärmliche Gegend, in die es sie verschlug. Ihre Untertanen seien ein Dutzend Bettler, berichtet sie. Die Kurfürstenwitwe lebte ein einfaches Leben, was durchaus ihrer Lebensphilosophie entsprach, denn für Dinge, die in ihren Augen unnütz waren, gab sie höchst ungern Geld aus. Beim Schlossausbau packte sie mit an, sie war sich nicht zu Schade, die Ziegel selbst zu legen. Müßiggang war etwas, das sie absolut nicht leiden konnte. Und so sah man sie auch beim Flößen in der Donau und bei der Feldarbeit. Ein ungewöhnlicher Anblick, denn für eine Kurfürstin waren solche „Jobs“ nicht standesgemäß.

„Die Leute haben mit offenem Mund über diese Frau gestaunt!“

Das erklärt ihr Nachfahre Graf Guy von Moy, der sich intensiv mit dem Leben der Erzherzogin beschäftigt hat. Zu ihrer au­ßergewöhnlichen Selbständigkeit gesellte sich ein herausragendes „Business­Talent”. Würde Maria Leopoldine heute leben, man würde sie als Selfmade­Woman bezeichnen. Mit Hilfe des Finanzexperten Joseph von Utzschneider (ein Illu­minat, der sich aus München „entfernen” musste) erlernte sie nicht nur die Kunst der Buchführung, sondern die Grundkennt­nisse wirtschaftlichen Handelns. Der Ankauf und Aufbau von Brauereien gehörte fortan genauso zu ihren Tätigkeiten wie der Handel mit Solnhofener Marmor, Holz, Getreide und vielem mehr. Geschicktes Wirtschaften machte sie schließlich zu Bay­erns reichster Frau. Und zu einem Vorbild, denn ihre Kenntnis­se gab sie auch an Adelige weiter, um deren Güter wieder zu gewinnträchtigen Einrichtungen zu machen. Hundert Jahre vor der Gründung einer gewissen „McKinsey” ­Unternehmensbe­ratung berät sie sogar Eugenie de Montijo, die Gattin Napo­leons III. bei deren Aktiengeschäften. 1844 vererbte sie ihren Besitz schließlich an ihre beiden Söhne Aloys und Maximilian und widmete sich ausschließlich dem Aktienhandel. Daneben blieb sie auch immer Wohltäterin, heute wäre sie wohl eine Charity ­Lady: Maria Leopoldine ließ Sozialwohnungen bauen, richtete Suppenküchen ein und gründete Stiftungen. Dieser Großzügigkeit stand ein Geiz gegenüber, für den sie berüch­tigt war. So soll bei Faschingsfeiern, die Marie Leopoldine ab­halten musste, nur wenig Essen serviert worden sein. Auf eine Heizung habe man gänzlich verzichtet und nachdem ein Satz Kerzen heruntergebrannt war, wurde nicht mehr nach gesteckt.

Eine unstandesgemäße Ehe und ein tragisches Ende

1804 läuteten für die Kurfürstenwitwe erneut die Hochzeitsglocken. Diesmal suchte sie sich den Bräutigam aus, was die Sache aber nicht einfacher machte, denn die Verbindung mit Ludwig Graf Arco war in den Augen der ungeliebten habsburgischen Verwandtschaft unstandesgemäß. Selbst ihre Eltern waren gegen die Verbindung, doch das kümmerte die Frau, die in jungen Jahren zu einer unglücklichen Ehe gezwungen worden war, nicht. Aus der Liebesheirat wurde trotzdem keine Liebesbeziehung, die Erzherzogin stürzte sich in Affären und eine intensive Romanze mit dem 16 Jahre jüngeren Graf Sigismund von Berchem. Dieser Lebensfreude stand eine tiefe Frömmigkeit gegenüber: Maria Leopoldine ging jeden Tag zur Messe und unterstützte finanziell Pfarreien ud kirchliche Einrichtungen wie das Priesterseminar in Eichstätt. Maria Leopoldine, Erzher­zogin von Osterreich-Este, Kurfürstin von Bayern und Gräfin von Arco, kam 1848 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. In der Nahe von Wasserburg kollidierte ihre Kutsche mit einem Salzfuhrwerk.

Ihr Leben würde heute Stoff für (mindestens) einen Holly­woodfilm bieten und die Gerüchte und Geschichten, die sich um sie ranken, würden etliche Klatschspalten füllen. Da war alles mit dabei: Erotik, Skandale, Geld, Machtspiele und Fröm­migkeit. Sie war ihrer Zeit in vielem voraus und doch kennt man die Frau, die bayerische Geschichte geschrieben hat, kaum. ,,Sie war lange vergessen, aber für uns immer die wichtigste Frau in der Familiengeschichte”, meint Graf Guy von Moy. Und zu­mindest in Steppberg ist sie unvergessen: In ihrer Gruftkapelle auf dem Antoniberg, ganz in der Höhe von Schloss Stepperg hoch über der Donau, wir ihrer immer noch gedacht.